Eines gleich vorweg: es ist nicht mehr möglich, diesen Weg, der einst einer der schönsten solchen in der Sächsischen Schweiz war, in voller Länge zu begehen. Aber selbst das, was noch übrig ist, kann beeindrucken. Und vielleicht passiert ja eines Tages ein kleines Wunder…Na ja, dass müsste schon ein großes Wunder sein. Aber schön der Reihe nach, lieber Leser, folge mir an einen der romantischsten Plätze der ganzen Region.
Natur wie aus dem Märchenbuch am Kerbensteig.
1. Was ist das für ein geheimnisvoller Weg?
Der Kerbensteig befindet sich in der Kirnitzschklamm bei Hinterhermsdorf. 1836 wurde er gebaut, und er war allererste Weg, der nur und ausschließlich für die “Sommerfrischler” angelegt wurde. Man könnte also sagen: eines der ersten touristischen Projekte der Region. Und das hat man durchaus mit einigem Aufwand betrieben. Drei Brücken über den Fluß, zwei über tiefe Felsspalten. Dazu Treppen und Geländer. Und vor allem: ein Felsband, welches künstlich verbreitert und begehbar gemacht wurde. Seinen ganzen Reiz zog der Weg aber vor allem aus den Ausblicken auf die Kirnitzschklamm, die an dieser Stelle sehr eng, manchmal ein wenig düster, aber immer sehr romantisch ist. Obendrein pendelte der Weg zwischen Deutschland und Böhmen, die Kirnitzsch ist ja hier ein Grenzfluß. Nun ja, 1945 war es vorbei: die Tschechen hatten soeben alle Deutschen aus der Grenzregion vertrieben, und trauten – aus gutem Grunde – auch allen anderen Teutonen nicht mehr über den kurzen Weg. Weshalb alle Brücken abgebrochen wurden. Später verrotteten dann auch die Stege über die Felsspalten. Und heute? Schengen, offene Grenzen, ein Europa, das zusammenwächst? Nicht im Nationalpark! Nach wie vor ist das Begehen der Reste des Kerbensteiges verboten, wer erwischt wird, zahlt ein Bußgeld.
Historische Postkarte: Brücke am Kerbensteig.
2. Wie komme ich hin?
Sinnvoller Weise von Hinterhermsdorf aus. Start kann der Parkplatz an der “Buchenparkhalle” sein, von dort laufen wir zunächst mal in Richtung der Bootsfahrt auf der Oberen Schleuse. Wer will kann sich jetzt ein Stück mit dem Kahn staken lassen, alle anderen folgen dem Wanderweg mit dem “Blauen Strich”. Kahnfahrt und Wanderweg treffen sich an der Staumauer, ab jetzt alle dem Blauen Strich nach. Und dabei immer schön die Augen links, wir kommen an eine kleine Nebenschlucht, in der der Abstieg zum Kerbensteig beginnt.
3. Und was erwartet mich jetzt?
Erst mal ein Blick auf eine kleine Kartenskizze:
Wir sind jetzt bei “1” angekommen, die Stelle ist leicht zu erkennen. Denn in die ersten Meter der Schlucht haben fleißige Mitarbeiter des Nationalparks so allerlei Bäume hineingeworfen, um die unpassierbar zu machen.
“Wegeverhau” nennt sich diese Unsitte.
Also drum herum geturnt und den Abstieg begonnen. Ehemals war das ja ein wirklich bequemer Weg, heute leider nicht mehr. Es sind nur noch Reste alter Steintreppen vorhanden, ansonsten geht es recht steil ins Tal hinab. Für jeden, der gute Schuhe an hat und nicht übermäßig fußlahm ist, sollte das aber kein Problem sein. Unten angekommen, sehen wir dann: ein traumhaft schönes Tal und die Reste der “Schönlinder Brücke”. Wir befinden uns also bei “2”.
Die Fundamente der Brücke sind noch zu erkennen.
Über diese Brücke konnte man einst ins Böhmische weiter wandern. Heute kann man, darf aber eigentlich nicht, die flache Kirnitzsch hier durchwaten und auf der anderen Seite das “Schwarze Tor”, ein kleines Felsentor, bewundern. Der eigentliche Kerbensteig beginnt aber ein paar Meter weiter oben. Also zurück, nur wenige Meter bergan, und dann links in den Wald gespäht. Aha, da geht ein etwas zugewachsener Pfad durch. Wir kommen hier nur wenige Meter weiter, dann stehen wir schon an der ersten Schlucht. Keine Brücke mehr da, und auch kein Weiterkommen. Aber wir haben schon tolle Blicke ins Tal genossen, und sogar gesehen, dass hier noch Reste eines alten Eisengeländers den Weg säumen.
4. Was denn, das war’s?
Mitnichten und –neffen, aber jetzt wird es etwas schwieriger: da der Kerbensteig ja am Fels lang verläuft, wir ihn aber mangels Brücken dort nicht gehen können, müssen wir zunächst wieder hoch auf den Wanderweg. Auf diesem nach links weiter gegangen. Und jetzt wirklich scharf in den Wald zur Linken gespäht und einen kleinen Pfad entdeckt. Ungefähr bei “3”. Das ist ein Trampelpfad, denn eigentlich, ein Blick auf die Kartenskizze verrät es, gab es von hier oben nie einen Zugang zum Kerbensteig. Volkes Wille hat sich einen geschaffen, den aber auch ich erst im dritten Versuch und nach den Hinweisen einiger echter Insider gefunden habe. Auf diesem Pfad also folgt ein kurzer und nicht eben schwerer Abstieg, und dann stehen wir tatsächlich auf dem echten Kerbensteig. Mein Gott, was müssen die damals gearbeitet haben, um diesen Weg aus dem Fels zu meißeln. An der nächsten Schlucht ist natürlich wieder Schluss.
Dafür wird es nach rechts aber interessant: wir stehen dort an einer Stufenreihe, die nach unten auf das Niveau der Kirnitzsch führt. Die Stufen sind prächtig erhalten, es gibt sogar wieder Reste des alten Geländers. Also runter.
Hier unten ist es nun mal so richtig schön, man kann erahnen, was dieser Weg einst für ein touristisches Highlight war.
An der Wand neben den Stufen finden wir hier auch noch eine Tafel, die einen Major von Dieskau als Erbauer des Kerbensteiges preist. Den genauen Standort dieser Tafel kann man übrigens auf Rolf Böhms aktueller Wanderkarte “Hinterhemsdorf” und auf seiner ganz neuen Karte “Khaatal” sehen. Der Zugang zur Tafel – weil eben eher ein Trampelpfad – ist aber auch hier nicht eingezeichnet.
Richtig interessant wird es, wenn wir dann unten noch ein paar Schritte nach links gehen. Dort ist der Felsen ebenfalls zu einer Art Plateau bearbeitet worden, von dem ein paar Stufen bis zur Wasseroberfläche hinab führen. Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wozu die dienten, könnte mir aber vorstellen, dass es so eine Art Kneippbecken für Sommerfrischler war.
Ja, und jetzt fehlt wieder eine Brücke. Weshalb wir wieder aufsteigen und den Teil des Kerbensteiges gesehen haben, der ohne ins Wasser zu springen noch zugänglich ist.
5. Wie stehen denn die Chancen, dass der Weg wieder eröffnet wird?
Offen gestanden und in einem Wort: erbärmlich. Weshalb ich das nächste Kapitel überschreibe:
6. Vertane Möglichkeiten
Mann, was könnte man daraus machen: grenzüberschreitendes Projekt! Attraktiver Wanderweg! Zusammenarbeit beider Nationalparkverwaltungen! Europa wächst zusammen! Pustekuchen, es gibt keinerlei Anstrengungen, den Weg wieder zu öffnen. Was aus meiner Sicht verschiedene Gründe hat:
- Es ist kein geringer Aufwand. Drei Brücken über den Fluß, zwei über Abgründe, Geländer, Zustiegswege vom Wanderweg aus – das müsste alles neu gebaut werden. Kostet Geld, was es bei einer so attraktiven Nummer, zumal, wenn man sie clever verkauft, aber sicher aus verschiedenen EU-Fördertöpfen geben sollte. Um diese anzubohren, braucht es aber schon einigen Aufwand. Und Aufwand ist das Letzte, was eine Behörde betreibt, wenn sie nicht unbedingt muss. Und da der Wandersmann auf der Prioritätenliste der Nationalparkverwaltung eh nicht eben an vorderer Stelle steht, macht sie hier einfach gar nichts.
- Immer noch Misstrauen. Die Zusammenarbeit beider Nationalparkverwaltungen ist längst nicht so harmonisch, wie nach außen immer dargestellt. Tschechen trauen den Deutschen nicht über den kurzen Weg, und umgekehrt ist es auch nicht besser. Bei einem Weg, der drei Mal die Grenze quert, geht es aber nur gemeinsam. Falls man denn will.
- Natur-Fundis: nach wie vor es ist eine in der Nationalparkverwaltung nicht selten anzutreffende Meinung, dass jeder Weg, der gesperrt oder unpassierbar ist, ein guter Weg sei. Weil auf ihm ja nicht der böse Mensch die Natur stören kann. Solange diese Meinung zumindest in Teilen der Verwaltung vorherrscht, wird hier gar nichts passieren.
Und so bleibt: der Kerbensteig wird wohl nie mehr das Wanderhighlight werden, das er einstmals war. Aber das, was von ihm noch übrig ist, kann auch beeindrucken und sollte oft und mit Umsicht besucht werden.
Blick vom Steig auf die Kirnitzschlamm.
Nachtrag: vor etwa zwei Jahren hatten Unbekannte (und Unentwegte) versucht, den Steig zumindest teilweise wieder zu erschließen. Sie hatten die beiden Schluchten mit hölzernen Stegen überbaut. Den Stegen war kein langes Leben beschieden: die Nationalparkverwaltung hat sie abgesägt und in den Fluß geworfen. Ich spare mir jeden weiteren Kommentar.
Ergänzung 21.07.2013: auf der Seite der IG Stiegen- und Wanderfreunde finden sich noch ein paar ergänzende Bilder vom Weg: http://www.sandsteinwandern.de/wandern/?page_id=30&mingleforumaction=viewtopic&t=482.0#postid-6225
Träumen kann man ja schon einmal…
Zunächst danke ich erst einmal für den wirklich guten bebilderten Bericht zum Kerbensteig.
Was die Wiederbelebung des Kerbensteiges betrifft, so hoffe ich sehr, dass der Wunsch der übergroßen Mehrheit aller Wander- und Naturfreunde hierzu eines Tages in Erfüllung geht. Es klingt jetzt vielleicht ein bisschen geschwollen, wenn ich hier schreibe, dass die Revitalisierung dieses grenzüberschreitenden Weges ganz im Sinne des „Europäischen Gedanken“ wäre. Einfacher ausgedrückt bedeutet dies, dass sich besonders die Tschechen und die Deutschen, aber natürlich auch jeder andere Besucher, über ein Zeichen der Verständigung überaus freuen würden.
Es geht ja schließlich auch darum, ein wichtiges kulturhistorisches Erbe zu bewahren!!!
Es darf nicht angehen, dass Behörden rechthaberische Gedanken über das Allgemeinwohl der zwischenstaatlichen Bevölkerung und ihren Gästen stellen.
Schließlich haben unsere Altvorderen in diese Wegeanlage viel Herzblut, Fleiß und Geld investiert. Die Dieskau-Gedenktafel spricht hierfür eine deutliche Sprache.
Auch das Erlebnis solch einen wildromantischen Steig begehen zu können, ist ein Ausdruck von Genuss, Freiheit und Lebensqualität. Wer maßt sich an, einem Naturliebhaber so etwas zu verwehren?
Leider fühle ich beim Lesen dieses Berichtes gebremsten Optimismus. Ich, als Vielwanderer, hoffe sehr, dass alle diejenigen, die unmittelbar von der Nichtbegehbarkeit betroffen sind, nicht müde werden, weiterhin an die Verantwortlichen zu appellieren, die Differenzen, die es möglicherweise zwischen den Behörden gibt, hinten an zu stellen, und dem Allgemeinwohl Rechnung zu tragen.
Auch ich werde versuchen ein paar Leute von den NPV’en anzusprechen.
Viele Grüße aus Zittau von
Werner
Hallo Arndt,
vielen Dank für diesen sehr detaillierten Bericht und die Hintergrundinformationen. Das werde ich mir bei Gelegenheit unbedingt mal genauer angucken.
Weißt Du etwas über Zustand und Erreichbarkeit des böhmischen Teils des Kerbensteigs? Bei Rolf Böhm ist dieser nur angedeutet, jedoch ohne eingezeichneten Pfad. Gibt es da heutzutage noch etwas zu entdecken? Und: Verlief er oberhalb oder unterhalb der Felsen?
Viele Grüße aus Hamburg von Michael
Hallo Michael,
den böhmischen Teil des Kerbensteigens kann man nur erreichen, wenn man die Kirnitzsch durchwatet, was in etwa in Höhe der Wolfsschlucht möglich ist. Allerdings ist das auf dieser Seite tatsächlich nur ein ganz normaler (immer noch gut sichtbarer) Pfad, der direkt am Ufer entlang führt. Spektakuläres gibt es da nicht, allerdings hat man von dieser dieser Seite einen sehr guten Blick auf das andere Ufer mit der prächtig erhaltenen Treppenanlage an der Dieskau-Tafel. Dort ist die Kirnitzsch allerdibngs recht tief, so dass es tatsächlich nicht möglich ist, die urpsrüngliche Wegführung nachzuvollziehen.
Beste Grüße
Arndt
Dankeschön, Arndt, für die sehr schnelle Antwort!
Ich hatte gedacht, dass aus Richtung Raubschützenschlüchte / Trögelgrund etwas gehen könnte und werde dank Deiner Info die Füße trocken halten.
Gruß von Michael
Gar nicht so ungefährlich, auf nicht mehr gepflegten Pfaden zu wandern: Beim Abstieg zu den Resten der Schönlinder Brücke vor wenigen Tagen fiel ein etwa 15 Meter entfernter 30-Meter-Baum nach zweimaligem lauten Knacken unvermittelt um – ganz schön schnell, aber zum Glück in die andere Richtung. Er liegt jetzt knapp oberhalb der Kirnitzsch und überschreitet dort gewissermaßen die böhmische Grenze. Darf der das?
Ein anderer Baum indes ermöglicht wenige Schritte weiter aktuell die trockenfußige Überquerung des Bachs – sieht nicht so aus, als wenn der zufällig dort herumliegt. War uns aber zu glitschig, außerdem hatten wir andere Pläne.
Punkt 3 ist gar nicht so einfach zu finden, der erneute Abstieg lohnt sich aber!
Danke nochmal für die Wegweisung! Und ein besonderer Dank geht an Rolf Böhm (Ich nehme an, Sie lesen hier mit) für die ausgesprochen gelungenen Karten.
Und wer die Geschichte, ne Skizze und Fotos in papierner Form in den Händen halten möchte, der kaufe sich Den Band “Stille Wege 2”. Dort ist alles ganz ausführlich drin.