Oh mein Gott, ich hab es getan! Ich war in meiner Lieblingsecke wandern, und ich war die ganze Strecke über kreuzbrav. Denn trotz diverser Versuchungen am Wegesrand bin ich stets auf dem Pfad der Tugend – ergo auf erlaubten Wegen – geblieben. Eine langweilige Tour war das trotzdem nicht, hier sind alle Wege schön, ganz egal, wie sie sich in den Augen der heiligen Nationalparkverwaltung auch darstellen. Im weiteren Verlauf des Textes werde ich es mir nicht verkneifen, auf diese Versuchungen hinzuweisen – und mir selbst auf die Schulter zu klopfen. Was warst du doch wieder willensstark!
Wir erleben also: einen tapferen Imbisswirt, eine nicht ganz echte Bärenhöhle, eine Riesenfichte, ein Pascher-Gefühl, Mäander, Reste eines einst blühenden Weilers, einige schöne Aussichten, durchaus knackige Auf- und Abstiege und ganz wenige Mitwanderer.
Auf geht es:
Vielleicht hatte es ja etwas mit der Wettervorhersage zu tun: die war durchwachsen. Es kann regnen, es muss aber nicht. Und so besannen wir uns auf Oma, die eine kluge Frau war: “Dem braven Kinde scheint die Sonne”, sprach sie in ihrer Weisheit. Na gut, also nur erlaubte Wege, auf das Klärchen lache. Hat übrigens funktioniert. Es kamen zwar immer mal wieder ein paar Wolken des Weges, es blieb aber trocken. Geht doch.
Wir starten in Hinterhermsdorf, auf dem großen Parkplatz an der Buchenparkhalle. Der präsentierte sich erfreulich leer. Kein Wunder, die Kähne an der Oberen Schleuse fahren wegen der Pestepidemie nicht, und so blieben nur jene Handvoll Besucher, die es auf fußläufige Fortbewegung abgesehen hatten.
Wir tappeln also los, vorbei an einigen Gärten, der Ausschilderung zur Oberen Schleuse folgend. (blaue Markierung) Bedenkt man, das der Weg in einer normalen Saison von tausenden Kahnfahrern benutzt wird, so ist er erstaunlicherweise immer noch in einem recht naturbelassenen Zustand. Es geht abwärts, über so allerlei Treppen und Steinmurmeln.
Zur Linken weist uns eine ziemlich verblasste Inschrift auf die Dachshöhle hin. Selbige scheint bei flüchtiger Betrachtung nur aus einem langweiligen und engen Felsspalt zu bestehen. Rucksack ab, Wampe rein und durchzwängen. Denn nach einigen Metern weitet sich der Spalt und wir stehen in der eigentlichen Höhle.
An einer kleinen Erweiterung des Weges – hier hielten vor Jahren noch die Kremserfahrten an – sehen wir einen ordentlichen Kahlschlag. Aber nicht der, sondern die merkwürdigen Kerben im Baumstamm ließen mich grübeln. Was will uns der Künstler…? Vielleicht für jeden erwischten Falschwanderer? Da kann uns ja heute nichts passieren.
Schließlich erhebt sich rechts der Klobunker der Bootsstation. Der Architekt dieses völlig deplatzierten Gebäudes gehört heute noch geteert und gefedert.
Wie schön passt sich dagegen die Rindenhütte, Kassenhäuschen und Imbiss an der Anlegestelle, in die Landschaft ein. Und bietet sogar noch eine Überraschung: trotz stillgelegter Kähne und fehlender Besuchermassen hatte der Imbiss geöffnet. Hut ab vor so viel Elan. Zwar plagte uns noch kein Hüngerchen, aber solch Engagement muss belohnt werden. Die Knoblauchwurst war lecker und gehörig knefelig, wie es sich gehört.
Nun ja, die Boote fahren also nicht. Und der nun folgende Weg ist eh die bessere Alternative zu den Krabbelwitzen der Gondoliere. Weiter der blauen Markierung nach, geht es zunächst oberhalb der Kirnitzsch entlang. Der Weg wird jetzt recht pfadig, bietet immer mal wieder Blicke hinunter zum Wasser und macht einfach Spaß.
Links von uns kommt der Aufstieg von der unteren Anlegestelle samt Staumauer hoch, rechts gibt es einen ersten – leichten – Aufstieg zum Hermanseck. Der schwere Aufstieg folgt sogleich, hier geht es erst über Treppen, dann durch eine verteufelt enge Spalte nach oben. Man kann also eine kleine Ehrenrunde – schwer hoch, leicht runter – einlegen.
Runde gedreht oder nicht, wir folgen weiter der blauen Markierung oberhalb der Kirnitzsch. Der Weg bleibt das, was man “schön” nennt. Und sehr ruhig ist es hier, selbst an Tagen mit vielen Besuchern.
Sogleich folgt aber die erste Versuchung: links geht es, in einer voller Vorbedacht mit eigens gefällten Bäumen verhauenen Schneise, abwärts. Dieser Weg führte einst zur Schönlinder Brücke und von dort weiter nach Böhmen zum Schwarzen Tor. Seit 1945 ist die Brücke Geschichte, einem Wiederaufbau stellen sich beide Nationalparkverwaltungen in den Weg. Das gilt auch für den Kerbensteig, einst schönster Wanderweg der Region, der genau da unten früher losging. Eine Schande, das bei allem Gefasel vom “vereinten Europa” solche herrlichen Wege in Vergessenheit geraten sollen.
Aber wir wollen ja brav sein, gehen also weiter geradeaus. Der Weg ist immer noch sehr angenehm zu gehen. Und da, wo er einen scharfen Knick nach links unten macht, lauert die zweite Versuchung: geradeaus und über ein Geländer ginge es ins Jansloch. In dem versteckte sich einst ein berüchtigter Wilddieb, ein Wanderweg führte später hindurch und auch zur echten Bärenhöhle. Beide Wege wurden ebenfalls vom Nationalpark gesperrt, sind aber noch gut vorhanden.
Wir wappnen uns also auch gegen diese Versuchung und steigen ab durch die Wolfsschlucht. Und das ist auch ein sehr schöner Weg. Erst geht es über Treppen, dann durch eine Höhle und dann wieder über Treppen bis aufs Niveau der Kirnitzsch runter. Die Höhle wird zwar auf vielen Karten auch als Bärenhöhle bezeichnet, historisch hat sie aber den Namen Wolfsschluchthöhle getragen. Egal, schön ist sie allemal. Wer Gardemaß hat muss hier den Kopf einziehen.
Unten angekommen gehen wir rechts und stehen nach wenigen vor der Riesenfichte vom Kirnitzschtal. Die gilt als der größte Baum Sachsens. Technische Daten: 400 Jahre alt, 60 Meter hoch, knapp fünf Meter Stammumfang.
Der Weg geht jetzt weiter am Fluss entlang, zunächst noch im Wald. Im Wasser liegt so allerlei totes Holz. Wegen des Dogmas “Natur Natur sein lassen” wird es nicht beräumt. Das sieht zwar wahrlich romantisch aus, dürfte aber spätestens beim nächsten Hochwasser wieder zu erheblichen Problemen führen.
Auf der Strecke passieren wir jetzt zahlreiche Grenzsteine, die ausnahmslos alle von linken Schmierfinken mit einem “Anarchie-A” verunziert wurden. So kann man die Weltrevolution natürlich auch auslösen.
Rechterhand passieren eine weitere Versuchung: einst aufwändig mit Trockenmauern befestigt, biegt die Rotkehle ab. Bis der Nationalpark auch diesen Weg kassierte, war er eine kurze Verbindung nach Hinterhermsdorf. Hier fällt es uns leicht, zu widerstehen, denn wir wollen ja noch ein gutes Stück weiter.
Der Wald lichtet sich jetzt, und die Kirnitzsch mäandert in vielen Bögen durch sattgrüne Wiesen. Ein Anblick, der Freude macht.
Zur Linken erspähen wir eine Brücke. Die führt über die Grenze nach Böhmen, zu den spärlichen Resten von Hinterdittersbach. Bis 1945 war dieser Weiler ein Wanderzentrum voller Kneipen, danach wurden alle Gebäude geschleift. Eine sehr rührige tschechische Bürgerinitiative hat aber in den vergangenen Jahren zumindest die Fundamente wieder ausgegraben.
Derzeit ist die Grenze nach Böhmen ja der grassierenden Seuche wegen geschlossen. An der Brücke bemerken wir aber weder einen Hinweis in diese Richtung noch eine Absperrung. Also latschen wir einfach mal rüber, und fühlen uns dabei wie einst der wackere Pascher. Kurz die Fundamente besichtigt und in einem schönen Rasthäuschen die Bemmen rausgeholt.
Die infantilen Schmierfinken – Verzeihung: die Aktivisten – waren auch hier am Werke.
Wir gehen zurück auf die deutsche Seite und dann bei erster Gelegenheit rechts. Ausgeschildert sind jetzt die Rabensteine (grüne Markierung). Es geht zunächst recht knackig nach oben.
Oben gibt es dann gleich mehrere Aussichten über die Wiese, auf der einst Hinterdittersbach stand.
Bequem führt der Weg durch den Wald weiter. Bei zweiter Gelegenheit biegen wir dann, ohne Markierung, nach links ab. Wir sind jetzt im Hirschgrund, der sanft abwärts führt. Borki und die Stürme haben auch hier einen ziemlichen Kahlschlag hinterlassen. Der aber, das muss ich zugeben, auch die eine oder andere ganz neue Perspektive freigibt.
Der Hirschgrund endet im Comtessensteinweg, wir gehen nach links und landen auf dem breiten Hollweg. Dort würde unsere Tour jetzt nach rechts weiter führen. Ein paar Schritte in die andere Richtung können wir aber zunächst eine Gedenktafel für die Erbauer des Weges besichtigen. Muss damals so eine Art ABM gewesen sein.
Also zurück, ein Stück den Hollweg entlang und bei nächster Gelegenheit links weg. Ausgeschildert ist in Rot schon der Königsplatz.
Es folgt ein wirklich sehr schöner Weg, der aber auch für eine ganze Zeit teilweise ziemlich steil ansteigt. Aber da wir nicht auf der Flucht sind, lassen wir uns Zeit und genießen die Umgebung. Auf halber Strecke durchqueren wir dabei den kleinen Tunnel Holl.
Wenn es nach oben nicht mehr höher geht, erreichen wir den Königsplatz mit einer Aussicht in zwei Etagen und Bänken zum Verschnaufen. Eine kleine Schutzhütte steht auch da.
Es lohnt sich, mal ein Auge hinter das Hüttchen zu werfen. Da führen ein paar alte Stufen hoch auf ein Plateau. Auf dem stand einst ein hölzerner Aussichtsturm. Der aber schon 1902 wegen Wurmstichigkeit abgerissen wurde. Auf einer alten Abbildung lugt er noch hervor.
Zurück von der Aussicht folgen wir der Ausschilderung nach Hinterhermsdorf – immer noch roter Strich. Dabei passieren wir eine weitere nette Aussicht, die auf verschiedenen Karten entweder Grünstellige oder schnöde Grünstelle heißt. Wie auch immer, wir haben noch mal einen schönen Blick.
Schließlich kommen wir durch einen lichten Buchenwald….
…zurück an unseren Ausgangspunkt.
Fazit: gute 16 Kilometer, ein paar Mal kräftig hoch und runter. Solange die Ausflugsboote an der Oberen Schleuse nicht fahren, ist das eine wirklich einsame Runde. Und selbst, wenn sie denn mal wieder in See stechen dürfen: ab der unteren Anlegestelle ist es dann trotzdem sehr, sehr ruhig. Was die Versuchungen am Wegesrand angeht: die gehen wir demnächst natürlich auch mal wieder an.
Zum Nachwandern:
Arndt, wie immer eine nette und launige Wegbeschreibung. Dass Du nicht mit einer Kerbe gewürdigt wurdest, staunst nicht nur Du. Jetzt folgt der Erklärbär, ABM hieß früher VolksMassenInitiative, obwohl ich unterstelle, das haben noch viele in Erinnerung.
Wie dem auch sei, schmälert es nicht Deine Beschreibung und passt ganz gut zur diesjährigen Urlaubsplanung.
Der Erklärbär ist nicht ganz korrekt: Vor ABM hieß es in der DDR “Volkswirtschaftliche Masseninitiative” VMI, davor “Nationales Aufbauwerk” NAW. Von 1935 bis 1945 gab es für junge Leute den “Reichsarbeitsdienst” RAD. Vor 1934 hatten soziale Arbeitsmaßnahmen gar keine speziellen Bezeichnungen. Aber es wurden bei allen Maßnahmen u.a. auch im Gebirge was gebaut, wie im Beitrag z.B. die Hollstraße, unter dem RAD die “Sudetenstraße” im Isergebirge (bis heute eine Super-Straße), der Thorwalder Gratweg wurde ab 1950 durch das NAW erneuert usw. Und Arndt hatte ja auch nur gesagt “eine Art ABM”, also vollkommen richtig.
Ich habe diese Steinstufen am Königsplatz schon in meiner Kindheit bemerkt und mich immer gefragt, wozu diese gut sind, da sie ja mitten im Wald enden. Aber das ist wirklich spannend. Janslochweg und Rotkehle sehen ja wirklich gut begehbar aus. Hat man ja immer so seine bedenken.