Ich gebe zu, ich war mutig. Denn normalerweise besuche ich das Prebischtor nur im Winter. Dann sieht die Felsbrücke immer noch so beeindruckend aus wie immer, nur ist man meist ganz allein vor Ort. Aber diesmal – spontan mitten in der Woche frei bekommen, keine Ferien nirgendwo, dazu eine prächtige Wettervorhersage. Vielleicht ist es ja nicht ganz so voll? Wir werden noch zu lesen bekommen, ob meine Vorhersage aufging. Allerdings hatte ich keine Lust, Kahn zu fahren. Ein Besuch in der Edmundsklamm (und damit die klassische Runde) fiel also aus. Deshalb geschwind eine Rundwanderung nur zu Fuß gebastelt. Obendrein bekomme ich immer wieder Anfragen zu dieser Hauptattraktion der Böhmischen Schweiz. Und war nicht auf dem Laufenden. Also sollte es sein. Folgen Sie mir.
Starten wir also in Herrnskretschen (Hřensko). Zunächst geht es durch die “Vietnamesenmeile”. Alle Einkäufe (falsche Markenklamotten, Socken und Schlüpfer, Kippen und Fusel, Hieb- und Stichwaffen, raubkopierte Schlager-CDs oder auch bewusstseinserweiternde Mittel) verschieben wir auf später. Übrigens gibt es auf Höhe der Kirche einen kleinen, nicht-vietnamesischen, Lebensmittelladen (Konzum), in man regionales Futter (Hermelin, Espresso-Tee, Kofola…) für kleines Geld kaufen kann. Zur Rechten sehen wir eine kleine Ansammlung bekannter Gesellen, die sich aber, so wissen wir, bevorzugt in der Nähe von Superschurken herumtreiben. Also besser schnell vorbei.
Weiter folgen wir der roten Markierung, neben der Straße entlang. Das ist seit etwa drei Jahren eine riesige Verbesserung, denn vorher musste man jahrzehntelang diesen Abschnitt auf der Straße zurücklegen. Und die ist gut befahren.
Es lohnt sich, schon mal nach oben zu spähen. Denn Dank des Borkenkäfers unermüdlichem Appetit haben sich neue Sichtachsen gebildet. Das Ziel unserer Wünsche, oder genauer: das rote Dach des Gasthauses am Prebischtor, lugt so schon zwischen den Restbäumen hervor.
Das ganze zieht sich gute zwei Kilometer hin, dann kommen wir an die Kreuzung Königsquellen (Tři prameny). Hier biegt der Weg zum Prebischtor links ab. Da wären wir aber schon sehr schnell am Ziel, und es soll ja kein Ausflug, sondern eine Wanderung werden.
Also biegen wir genau gegenüber rechts in einen Waldweg ein.
Zunächst ist der ohne Wegweiser, aber alsbald kommt als Markierung ein gelber Strich hinzu. Wir befinden uns jetzt auf dem Mühlsteig. Was aber zur späteren Orientierung nur bedingt taugt, weil es hierzulande von “Mühlsteigen” nur so wimmelt. Fast schon ein Sammelbegriff wie “Weg” oder von mir aus “Autobahn”. Auch hier hat Borki, der Nimmersatt, ordentlich gewütet. Und so bietet sich durch gelichteten Wald ein weiterer Blick auf unser Ziel. Diesmal steht das Prebischtor allerdings mit seiner Schmalseite zu uns.
Prebischkegel, Edmundstein, Prebischtor (v.l.)
Der Weg dagegen steigt recht bequem immer weiter an und bietet noch so manchen Blick auf Stilleben mit Einzelbäumen.
Mit Blick zurück erreichen wir so die ersten Häuser von Stimmersdorf (Mezná).
Wir landen am kleinen Dorfplatz mit der Kneipe “Zur Aussicht”. Dort links auf der Dorfstraße weiter, vorbei an einem Kruzifix und einem alten Schulhaus, welches zum Verkaufe steht.
Schon etwas außerhalb geht der Weg (grüner Strich) jetzt wieder neben der Straße lang. Auch hier wieder eine Verbesserung, früher ging es auch da auf der Straße vorwärts. Rechts sehen wir ein sehr schön restauriertes Denkmal für die Opfer des 1. Weltkrieges. Auch eines sehr bekannten Herstellers von Panzerschränken (die man allerdings mit einem Stethoskop öffnen konnte) wird hier gedacht.
Direkt am Denkmal geht ein befestigter Weg an einer Baumreihe im rechten Winkel ab. Der führt zu einem stillen kleinen Friedhof. Sehr gepflegt, die übliche Mischung aus alten deutschen und neuen tschechischen Gräbern. Dazu große Ruhe und viel Sonne. So möchte ich mir auch dereinst die Radieschen von unten betrachten dürfen.
Wir gehen zurück zur Straße und wieder ein kleines Stück auf dem parallelen Fußweg. Dabei scharf nach links gespäht und die Felswände in der Ferne abgesucht. Bingo! Da ist es wieder, das Prebischtor. Diesmal in seiner ganzen Pracht. Und von der “bösen” Seite, nur hier ganz legal. Ein Fernglas ist auch hier wieder sehr hilfreich. Und lassen Sie die Knipse oder gar das Handy stecken, für das folgende Bild hab ich ein 400 mm Objektiv und ein Stativ benutzen müssen.
Zu guter Letzt müssen wir dann doch noch ein paar Meter auf der Straße laufen. Aber wirklich nur ein paar Meter, dann kommen wir schon in Rainwiese (Mezní Louka) an. Dieses kleine Örtchen ist sozusagen der Dreh- und Angelpunkt aller Prebischtor-Runden. Und so finden wir hier: einen gigantisch großen Parkplatz, ein Hotel, einen Spielplatz mit Mini-Prebischtor-Klettergerüst, eine ganze Reihe genormter Ferienhäuser, eine Selbstbedienung für die Massenabfertigung, ein eher gehobenes Restaurant und eine Touristeninformation. Uff.
Wir gehen zwischen Infostelle und Schnellimbiss durch und kommen so auf den Beginn des Gabrielensteiges (roter Strich). Wenn Sie Kinder dabei haben und noch zwei Kilometer weiter latschen wollen (und können) dann sollten Sie rechts noch den Anfang des Luchssteiges ins Auge fassen. Dieser Lehrpfad ist ein Rundweg und wirklich spannend und mit viel Fantasie gestaltet.
Zwischenruf:
Vorhersage bisher aufgegangen. Wenig bis gar keine Mitwanderer. Trotz Kaiserwetter. Selbst in Rainwiese nichts los. Touristeninfo und Imbiss ganz geschlossen.
Zurück zum Gabrielensteig. Der ist in seiner ganzen Länge gut mit Erklärbär-Tafeln bestückt. Auf denen erläutern ein moderner Ranger und Fürstin Elisalex von Clary-Aldringen (ihr Gemahl hatte einst die Gegend touristisch erschlossen) im Comic-Stil allerlei Wissenswertes. Auf der ersten Tafel reißen die beiden aber irgendwie erschrocken die Augen auf und starren mich an. Hab gleich geprüft, ob nicht etwa der Hosenschlitz offen steht und einer raushängt. War aber alles i.O. bei der Kleiderordnung. Da hat es wohl der Künstler so gewollt.
Der Gabrielensteig wird uns jetzt rund fünf Kilometer lang begleiten. Mit diesem Weg ist irgendwie die Quadratur des Kreises gelungen. Denn obwohl er eine der touristischen Hauptrouten der Region ist, kann man ihn guten Gewissens “naturbelassen” nennen. Was aber auch heißt: meiden Sie ihn mit Turnschuhen. Es wird immer mal wieder wurzelig-stoppelig, es gibt hohe Stufen und unebenen Untergrund.
Und obwohl ich diesen Weg nun schon – weiß der Geier wie oft – gegangen bin, gibt es immer mal was Neues zu berichten. Da sind natürlich zu ersten die neuen Aussichten, die olle Borki frei gefressen hat. Bevorzugt gehen die in Richtung Zschirnstein, Hoher Schneeberg und Rosenberg.
Zudem hat man den ganzen Weg “geringelt”. Damit meine ich die beiden roten Ringe, die man hier jetzt allerorten an den Bäumen findet. In weniger frequentierten Ecken der Region findet man die überall, sie markieren die Grenzen der Kernzone des Nationalparks. Hier sind sie neu.
Den Zuckerhut – weshalb der so heißt, muss ich wohl nicht erklären – konnte man früher auch nicht so gut sehen.
Am Aufstieg zum Fremdenweg, der früher kaum zu finden war, hat man jetzt ein Verbotsschild aufgestellt – so findet ihn jeder.
Und ein Zählautomat steht am Wegesrand. Den hatte aber irgendwer mit Kienäppeln sabotiert.
Hier werden Sie gezählt – oder auch nicht.
Genug der Kleinigkeiten, wir kommen zurück zur eigentlichen Sache und damit zum Aufstieg zum Tor. An seinem Beginn hat man übrigens noch einen historischen Wegweiser rekonstruiert. Sehr schön.
Zwischenruf 2:
Vorhersage teilweise aufgegangen. Auf dem Gabrielensteig schon spürbar mehr Wanderer unterwegs. Aber: es verläuft sich. Nie als störend empfunden. Aber auffällig viele Stockenten unterwegs. So nennt mein vorlauter Sohn Wanderer mit Nordic-Walking-Stöcken. Möchte mal wissen, wo er diese spitze Zunge her hat.
In Serpentinen mit Edelstahlgeländer windet sich jetzt der Aufstieg auf die Höhe des Tores. Es geht durch einen kleinen Tunnel und unter dem wunderschönen Restaurant Falkennest entlang. Und auch, wenn ich jetzt einen ganzen Eulenschwarm nach Athen trage, folgen doch noch ein paar Fotos.
Obacht, hier ist Eintritt zu berappen. Vier Euro kostet es für einen Erwachsenen. Vor vier Jahren, als ich das letzte mal da war, waren es noch derer drei. Das nenne ich mal eine galoppierende Inflation.
Verzweifelter Zwischenruf:
Vorhersage kläglich gescheitert! Hier ist nun wirklich richtig was los. Deibel auch, wo kommen die plötzlich alle her?
Aber wenn wir einmal hier sind… Über hässliche Betonstufen geht es zu den beiden Aussichten am Edmund- und am Kreuzstein. Sie bieten jenen Anblick, den man von Postkarten kennt. Nehmen wir also mit.
Auf dem Weg zu den Aussichten sehen wir noch die Fundamente einer Brücke und den weiterführenden Weg, der einst direkt auf das Tor führte. Seit den 1980er Jahren darf man das Tor aber nicht mehr betreten und die Brücke wurde abgerissen.
Und da das Verbot, das Tor zu betreten, eines der ganz wenigen Verbote im Elbsandstein ist, deren Sinnhaftigkeit ich einsehe, schweige ich mich hier zu den Möglichkeiten aus, trotzdem hoch zu kommen.
Da, wo die Betontreppen beginnen, finden wir noch einen perfekt verbarrikadierten Weg vor. Das war die frühere Verbindung zum Fremdenweg. Eine der historisch ältesten Verbindungen in der Sächsisch-Böhmischen-Schweiz. Ihre Reaktivierung scheiterte bisher an der Sturheit zweier Nationalparkverwaltungen. Aber bitte jetzt nicht um die Absperrung herumturnen, es ist lebensgefährlich. Wer hier abstürzt, landet in einer steilen Schlucht, die zu allem Überfluss noch voller Müll liegt. Man stinkt dann also entweder den Rettungshubschrauber voll oder als Leiche mit dem Müll um die Wette.
Historischer Weg, perfekt versperrt.
Bei allem Gewimmel gibt es aber selbst hier einen stillen Ort des Rückzugs: in der zweiten Etage des Restaurants befindet sich eine kleine Galerie mit sehr schönen Landschaftsbildern. Hier war ich bisher immer ganz allein. Und natürlich findet sich auch hier ein Foto, welches das Prebischtor von der “falschen” Seite, also vom verbotenen Fremdenweg aus, zeigt. Solche Fotos findet man hier immer wieder auf Postern und Ansichtskarten. Die böhmische Nationalparkverwaltung scheint Sondergenehmigungen nach Gewicht zu vergeben.
Noch ein Wort zum Restaurant: das ist nicht überteuert, aber kulinarisch auch alles andere als eine Offenbarung. Massenabfertigung eben. Direkt unter dem Tor gibt es noch eine kleine Imbissbude mit Würsten und Getränken.
Genug gesehen, wir steigen ab. Die Markierung ist immer noch ein roter Strich. Nach einem kurzen Wegstück geht nach links ein Abstecher zur Höhle der böhmischen Brüder. Das ist ein großer Felsüberhang, in dem ein großer, merkwürdig rund bearbeiteter Stein liegt. Ein Erklärbär steht auch herum, gibt aber keine Auskunft über den Sinn der Klamotte. Da es sich aber um böhmische Brüder handelt, vermute ich, dass es eine historische Brauanlage war. Hier trifft man, trotz Wegweisers, auch nur selten jemanden an.
Ab jetzt heißt der Weg Langer Grund und windet sich in langgezogenen Schleifen zu Tal. An einer Stelle findet sich eine Tafel, die daran erinnert, das hier im Jahre 1872 eine Fürstin namens Olga vom Pferd fiel. Im selben Jahr sind in China ganze 12 (in Worten: zwölf) Sack Reis umgefallen.
Kurz hinter dieser Stelle konnte man einst die längste (und langweiligste) der Serpentinen auf einer steilen Stiege schneiden. Von dieser Olgastiege ist aber gar nichts mehr übrig, nicht mal mehr Andeutungen im Gelände.
Dafür hat der Lange Grund im unteren Teil seinen Charakter grundlegend geändert. Wo es einst durch dichten Wald ging, ist jetzt alles licht und die Sonne knallt einem auf den Dätz. Hier finde ich das sehr unschön.
Schließlich landen wir wieder an den Königsquellen und treten neben der Straße den Rückmarsch nach Herrnskretschen an. Dort gibt es eine große Auswahl an Gaststätten, und ich höre schon den Zapfhahn zischen und rieche den Knoblauch.
Fazit:
21 Kilometer, ganz schön lang. Im Wald, wie gehofft, recht ruhig. Direkt am Prebischtor dann aber großes Gewimmel. Man kann hier also wirklich nur im Winter auf Ruhe hoffen. Der Borkenkäfer hat zwar die eine oder andere interessante neue Sichtachse geschaffen, aber auch ein gutes Stück Wald richtig versaut.
Zum Nachwandern:
Die “klassische” Prebischtorrunde mit beiden Kahnfahrten wird auf
nicht absehbare Zeit nicht mehr möglich sein. Der Zugang vom Soorgrund
aus ist wegen nicht zu bergender umgestürzter Bäume wohl erstmal dauerhaft
gesperrt. Umso ärgerlicher, wo der Zugang zur Klamm erst perfekt saniert
wurde. Die Boote fahren also (wie schon während der Sanierung) in der
wilden Klamm hin und zurück, legen aber NICHT an!! Noch ein Tipp:
An der Stelle, wo der grüne markierte Wanderweg von Ruzova kommend
die Klammen kreuzt ( Mezni Mustek) befindet sich, nachdem man ÜBER
die Brücke gegangen ist, kurz dahinter auf dem Weg nach Mezna links eine
unscheinbare Öffnung im Geländer samt einer ziemlich verfallenden Treppe.
Dort hinunter befindet sich ein erst kürzlich restauriertes Bild in einer alten
Felsennische. Leider , oder vielleicht bewusst (??) fehlt aber jeglicher Hinweis.
Ein Besuch lohnt aber in jedem Fall……….
Tatsächlich war das Bild – es zeigt Joseph mit dem Jesuskind – bis vor ein paar Jahren völlig verschwunden, die Felsnische mit einem dicken Laubhaufen bedeckt, die Treppe nicht mehr existent. Man hat das alles also komplett neu geschaffen. So etwas finde ich im Böhmischen immer wieder sehr schön. Unter dem Bild findet sich im Fels noch weiteres Interessantes: die Buchstaben „J“ und „O“ sowie das Symbol einer Lilie. Die Inschrift „Dresden“ und „1856“ sowie ein Wort mit „V“, das ich nicht weiter deuten konnte. Spannend.